Heute ist es in fast allen Ländern Vorschrift, wenigstens zwei Namen zu tragen: Vor- und Familiennamen.
Jahrtausende aber trug man bei den Germanen und anderen Völkern nur einen Namen: Wulfila, Moses, Platon. Ausnahme sind die Römer mit ihrem Drei-Namen-System: Quintus Horatius Flaccus (der Fünfte, aus der Sippe der Horatier, der Blonde) = Rufname + Sippenname + Beiname.
ln manchen Situationen wurden einnamige Personen freilich schon immer durch Zusätze bes. gekennzeichnet, etwa zur Auszeichnung (Karl der Große), zur Unterscheidung (Pippin der Ältere / Jüngere), zur Charakterisiernng (Ludwig der Fromme), um Verbundenheit mit anderen Personen auszudrücken (Hrabanus Maurus nach seinem Vorbild, dem heiligen Maurus). Solche Zusätze können je nach Anlaß wechseln.
Wenn ein solcher Zusatz nicht nur gelegentlich, sondern mehr oder weniger regelmäßig zur Kennzeichnung einer Person verwendet wird, bezeichnet man ihn als Beinamen.

Das große Buch der Familiennamen

In Urkunden und anderen Quellen läßt sich seit Anfang des 12. Jh. eine verstärkte, dann zunehmend regelmäßige Personenbezeichnung mit Ruf- und Beinamen beobachten. Dabei wird oft der Beiname ausdrücklich als solcher gekennzeichnet: Giselber genant Obezer ('Obstbauer'). Damit beginnt der entscheidendste Einschnitt unserer Namengeschichte: der Übergang von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit. Solange der Beiname aber nicht zusätzlich, sondern anstatt des Rufnamens auftritt, befinden wir uns noch in der Epoche der Einnamigkeit.

Ab dem Jahr 1000 setzen vereinzelt zweinamige Einträge in Urkunden der Stadt Zürich ein, daneben halten sich einnamige bis 1150/70, danach finden sich nur noch zweinamige. Nach 1350 war Zweinamigkeit in den Städten so üblich, daß das Fehlen eines Beinamens selbst zum Beinamen werden konnte: Heinrich ane czunamen 'H. ohne Beinamen' 1361 Breslau.

Die Entwicklung führt nun aus dem Nebeneinander versch. okkasioneller Zusätze über rel. beständige Beinamen schließlich zu den Familiennamen.
Ein Familienname entsteht, wenn der Beiname einer Person auf deren Nachkommen vererbt wird. Im meistbenutzten lat.-dt. Wörterbuch des MA, dem "Vokabularius Ex quo", wird der Beiname quasi als »gemeinsamer Name der ganzen Verwandtschaft« definiert. Die wichtigsten Kriterien für die Feststellung, ob in einer mittelalterlichen Quelle noch ein Beiname oder schon ein Familienname vorliegt, sind:

  • Die Vererbung ist mehrere Generationen nachweisbar. Unsicherheit besteht hier v. a., weil auch Berufe oder Wohnstätten vererbbar sind und entsprechende Beinamen bei Vater und Sohn jeweils neu entstehen können.
  • Geschwister tragen denselben Namen: Hermann und Joseph genant Keyser.
  • Der Name paßt inhaltlich nicht zur betreffenden Person:
  • Thewes Einarm hat zwei Arme, Fritscbe genant Hamburger war nie in Hamburg. In Bürgerbüchern, die meist den Beruf mit angeben, kann man verfolgen, wie Namen nach Berufen und die tatsächlichen Berufe der Betreffenden immer häufiger voneinander abweichen, z. B. Herman Pfannensmit der garnzuger ('Garnzieher'). In vielen dieser Fälle müssen ererbte Familiennamen vorliegen.
  • Sehr unsicher, aber je nach Quellenbeschaffenheit mitzuberücksichtigen, sind sprachliche Kriterien, so der Wegfall von Verbindungsgliedern zwischen Rufnamen und Beinamen: Hennieh Kotzhusen statt Hennieh von Kotzhusen, Witche Schenke statt Witche derlgenant Schenke, Johan Dietrich statt Johan Dietrichs sun ('Sohn'); aber oft tritt derselbe Name mal mit, mal ohne Bindeglied auf. Weil durch die Kombination von Ruf- und Familiennamen in einem Gesamtnamen die Möglichkeit potenziert wurde, Menschen zu unterscheiden und gleichzeitig die familiäre Zusammengehörigkeit anzuzeigen, hat sich diese höchst rationelle Kombination weltweit durchgesetzt.

Trotz vieler Unsicherheiten läßt sich insgesamt sagen, daß die Zweinamigkeit (und in ihrer Folge der Brauch, Familiennamen zu führen) im Schrifttum süd- und westdt. Städte Anfang 12. Jh. sichtbar wird, dort im 13. Jh. zur Massenerscheinung anwächst, nach Norden und Osten fortschreitet und Anfang 15. Jh. im wesentlichen vollzogen ist.

Amtliche Durchsetzung Die Familiennamen besaßen lange Zeit nur eine relative Festigkeit; sie haben oft bei einer Familie gewechselt.
Adlige konnten nach ihren Besitzungen unterschiedlich heißen. Auch Bürgerliche trugen manchmal konkurrierende Namen (»Hainrich Jäger, den man nennt Spät«) oder nannten sich um. Bei Bauern wechselte der Familienname oft mit dem bewirtschafteten Hof. Heirat oder ein neuer Beruf konnten zu einem Namenwechsel führen. Künstler und Gelehrte wählten neue Familiennamen nach ihrem Herkunftsort.

Seit dem 17. Jh. erfolgen behördliche Verordnungen,um:
- den Wechsel des Familiennamens zu unterbinden,
- die Zweinamigkeit durchzusetzen,
- die Schreibweise der Familiennamen zu sichern.


Quellen:

1. Heinle, Bernd (2008): "Wie sind die Nach- bzw. Familiennamen entstanden?": URL: http://www.heinlenews.de/nachname.htm [Stand: 21.03.2012]

2. Kunze, Konrad: "dtv-Atlas Namenskunde" : Dtv Auflage: 3. A. (1999)